Hochschulen als Lernorte für Future Skills

Hochschul-Bildungs-Report 2020
​Jahresbericht 2019

  • Hochschulen werden wichtiger: Heute arbeitet erst jedes vierte Unternehmen mit Hochschulen zusammen, in fünf Jahren mehr als jedes dritte.
  • Derzeit mangelt es vor allem an (Weiter-)Bildungsangeboten, die Zukunftskompetenzen wie komplexe Datenanalyse oder kollaboratives Arbeiten vermitteln.
  • Hochschulen müssen zukunftsorientierter werden: Das umfasst unter anderem die Konzipierung neuer Studiengänge, die Vermittlung von Data-Literacy-Kompetenzen, die Schaffung neuer Lernumgebungen sowie die Positionierung von Hochschulen als Weiterbildungsanbieter für digitale Transformationsprozesse.

Hochschulen werden für die Personalstrategien von Unternehmen zunehmend wichtiger. Das gilt sowohl für die Personalrekrutierung als auch für die Personalentwicklung. Bei der Personalrekrutierung buhlen Unternehmen um diejenigen Absolventen, die notwendige IT-Kompetenzen und digitale Schlüsselqualifikationen während ihres Studiums erworben haben. Im Bereich der Weiterbildung kooperieren Unternehmen mit Hochschulen, um Mitarbeitern aktuelles Wissen für die Arbeitswelt 4.0 zu vermitteln.

Hochschulen und Unternehmen sind beim Thema Future Skills also aufeinander angewiesen. Schon heute kooperiert jedes vierte Unternehmen mit Universitäten und Fachhochschulen. Eine Entwicklung, die sich laut Aussagen der von Stifterverband und McKinsey befragten Unternehmen mittelfristig noch verstärken wird.

Auf die Frage, wie Unternehmen gegenwärtig ihre Mitarbeiter weiterbilden, gaben 25,8 Prozent an, in diesem Bereich mit Fachhochschulen und Universitäten zu kooperieren. Dieser Anteil wird bis 2023 auf 37,4 Prozent ansteigen, was einem Zuwachs von 45 Prozent innerhalb von fünf Jahren entspricht. Noch etwas stärker wird nur die Zusammenarbeit mit privaten Bildungsanbietern wachsen. Besondere Relevanz kommt Hochschulen gegenwärtig bei der fachlichen Ausbildung und Weiterbildung technischer Experten zu, während in Unternehmen die Entwicklung und der Ausbau überfachlicher Skills überwiegend durch eigene Angebote oder durch Angebote privater Weiterbildungsanbieter gedeckt wird.

Der Hochschul-Bildungs-Report geht der Frage nach, welche Wege Hochschulen gehen können, um den zukünftigen Bedarf an benötigten Future Skills zu decken und welche Chancen sich dabei für Hochschulen zur institutionellen Weiterentwicklung eröffnen.

Future-Skills-Bedarfe: Strategien von Hochschulen

Hochschulen stehen beim Thema zukünftige Kompetenzen für den Arbeitsmarkt vor zwei zentralen Herausforderungen: Für den Bereich der Technological Skills gilt es erstens, passende Studien- und Weiterbildungsformate zu entwickeln, um kontinuierlich aktuelle Forschungserkenntnisse zu transformativen Technologien weiterzugeben und den Arbeitsmarkt mit entsprechend ausgebildeten Experten zu versorgen. Dafür müssen Hochschulen verstärkt den Weiterbildungsmarkt erschließen. Neben der Aus- und Weiterbildung technologischer Spezialisten wird von Hochschulen zweitens auch zunehmend erwartet, an alle Studierende, fächerübergreifend die notwendigen digitalen und nichtdigitalen Kompetenzen zu vermitteln (zum Beispiel Data Literacy, Entrepreneurial Skills, Kollaborationstechniken etc.).

Hochschulen adressieren diese Herausforderungen und Potenziale derzeit noch unzureichend. Es mangelt an zukunftsorientierten Neuerungen und Ressourcen in sieben Bereichen. Lerninhalte sollten weiterentwickelt werden, indem erstens neue Studiengänge konzipiert, zweitens bestehende Curricula weiterentwickelt und drittens Data Literacy als Querschnittskompetenz in allen Studiengängen vermittelt werden. Neue Lernorte können dabei unterstützen, Future Skills zu vermitteln, insbesondere durch viertens neue Lernumgebungen und agile Innovationsräume. Hochschulen sollten sich fünftens auf dem Weiterbildungsmarkt positionieren und dafür sechstens auch Plattformmodelle für lebenslanges Lernen nutzen. Schließlich gilt es siebtens, insbesondere im Bereich der Weiterbildung neue Formen des Qualifikationsnachweises durch neue Zertifizierungsformen zu entwickeln. Die strategischen Handlungsbereiche werden im Folgenden näher beleuchtet.

Konzipierung neuer Studiengänge

Neue Kompetenz- und Qualifikationsanforderungen in der Arbeitswelt der Zukunft erfordern den Ausbau bestehender und die Konzipierung neuer Studienangebote. Viele Hochschulen erhöhen deshalb die Anzahl an Studiengängen im Bereich der Informatik beziehungsweise die Anzahl an verfügbaren Studienplätzen. Informationstechnisches Grundlagenwissen wird dabei zumeist im Rahmen von Bachelorinformatikstudiengängen vermittelt, bevor anschließend in vertiefenden Masterprogrammen weiteres Zusatz- und Spezialwissen erworben wird.

Einige Hochschulen setzen darauf, die neuen technologischen Entwicklungen gezielt beim Studienangebot zu berücksichtigen und Studierenden eine Spezialisierung in diesen Zukunftstechnologien zu ermöglichen. Dazu werden neue, auf den Erwerb spezifischer technologischer Future Skills zielende Studiengänge entwickelt, wie beispielsweise spezielle Masterprogramme für Big Data.

Im Bereich komplexer Datenanalyse gibt es gegenwärtig mehr als 50 Studiengänge, über welche in Summe in den nächsten fünf Jahren geschätzte 75.000 Absolventen auf den Arbeitsmarkt entlassen werden. Gleichzeitig zeigt das Studiengangsspektrum, dass hier noch weiteres Potenzial zu erschließen ist.

Eine weitere Option für Hochschulen ist es, in die Schaffung von spezialisierten Masterprogrammen in Informatik und anderen Technological Skills zu investieren, die sich an Fachfremde richten. In der Betriebswirtschaftslehre erproben einige Hochschulen dieses Modell schon seit vielen Jahren erfolgreich. In Deutschland bietet beispielsweise die Hochschule Trier mit dem Master of Computer Science (M.Sc.) einen entsprechenden Abschluss an. Im europäischen Ausland gibt es schon heute zahlreiche solcher Masterprogramme, meist mit einem Schwerpunkt auf Informatik. Doch auch andere Technological Skills können aufgegriffen werden: Da datengetriebenes Arbeiten heute alle Fachdisziplinen betrifft, ist mit einer hohen Nachfrage an Absolventen zu rechnen, die einerseits einen berufsqualifizierenden Abschluss in einer Fachdisziplin besitzen und die andererseits über einen Masterabschluss in einem informatiknahem Fach verfügen.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, Future Skills nicht nur in MINT-Fächern, sondern in allen Disziplinen zu verankern. Viele Vertreter geistes- und sozialwissenschaftlicher Fächer sehen ihre Bereiche nach wie vor als unbetroffen von den Veränderungen durch den digitalen Wandel. Aber hier liegen große strategische Potenziale: Eine Reihe von Instituten nutzt die Möglichkeiten von Big Data für neue Forschungsansätze und Lehrinhalte und baut Methoden der Informatik und Module für komplexe Datenanalyse in ihre Fächer ein. Fächerübergreifende Qualifikationen können durch neue interdisziplinäre Studiengänge vermittelt werden. So wird Digital Humanities als grundständiges Studium mit einer Mischung aus Kulturwissenschaften und Informatik an der Universität Leipzig, der Universität Würzburg und der LMU München angeboten. Denkbar wären zum Beispiel auch interdisziplinäre Studiengänge mit Fokus auf Data Literacy, Tech-Translation oder kritischer Forschungskompetenz oder neuartige Spezialisierungen in Masterstudiengängen (Datenjournalismus, Bildungsinformatik, Legal Tech etc.).

Einige Hochschulen gehen einen anderen Weg und setzen auf stärker individualisierte Studiengangskonzepte. In modularen Grundstrukturen können durch vielfältige disziplinäre und methodische Bausteine Konstellationen für individualisierte Kompetenzprofile geschaffen werden, die auch verstärkt digitale und technische Fähigkeiten umfassen. Dies wird bereits jetzt zum Beispiel an der Universität Wien oder an der Leuphana Universität Lüneburg realisiert.

 

Weiterentwicklung der Curricula

Hochschulen sollten ihre Curricula konsequent auf fachliche und überfachliche Future Skills ausrichten. Dies kann für viele Curricula eine grundlegende Änderung von Studienstrukturen sowie von Lehr- und Lernarrangements bedeuten. Eine Schaffung lediglich von Zusatzangeboten wie Wahlpflichtmodulen wird in den meisten Fällen zu kurz greifen.

Eine Möglichkeit besteht für Hochschulen darin, die Studieneingangsphase neu zu konzipieren. So könnten die ersten Semester an Hochschulen dafür genutzt werden, transdisziplinär für alle Fachbereiche verpflichtend Querschnittskompetenzen zu adressieren. Als Resultat würden Studierende fächerübergreifend in die Lage versetzt werden, in der digitalen Welt ethische Überlegungen und Kontextualisierungen vorzunehmen, agil zu arbeiten sowie Kollaborationstechniken gezielt anzuwenden.

Auch eine neue VDMA-Studie zielt insbesondere auf die ersten Studiensemester. Sie kommt zum Schluss, dass in den Fachrichtungen Maschinenbau und Elektrotechnik Grundlagenkenntnisse aus der Informatik unabdinglich sind – und umgekehrt in der Informatik Kenntnisse der anderen beiden Fächer sinnvoll sind. In der Studie werden daher eine stärkere interdisziplinäre Verschränkung von Studieninhalten, ein besseres Miteinander der Fakultäten und ein gemeinsames ingenieurwissenschaftliches Grundstudium über die ersten zwei Semester vorgeschlagen.

In Bezug auf die Konzeption von Studiengängen und -modulen stehen Hochschulen vor der Herausforderung, dass neue Inhalte und eine zeitgemäße Lehre Hand in Hand gehen müssen. Gerade digitale Grundfähigkeiten und klassische Fähigkeiten können nicht ausschließlich durch Vorlesungen und Seminare vermittelt werden. Hochschulen sollten deshalb Lehrstrategien entwickeln, die neben klassischen Lehrformaten auch aktivierende Formen der Lehre enthalten. Hierzu zählen Ansätze des problem- und projektorientierten Lernens sowie die Vermittlung von innovativen Methodenkompetenzen wie Design Thinking.

Da es sich bei der digitalen Transformation um einen technologisch und disziplinär schwer zu prognostizierenden Prozess handelt, müssen Curricula flexibel und anpassungsfähig werden. Während bei der traditionellen Programmakkreditierung von Studiengängen dies nur sehr eingeschränkt möglich ist, eröffnet das Verfahren der Systemakkreditierung den Hochschulen neue Freiheitsgrade für agile Anpassungen der Curricula, die sie im Dialog mit Arbeitswelt und Zivilgesellschaft aktiver nutzen sollten.

Die Gestaltung von (gerade auch transdiziplinären) Lehr- und Lernprozessen ist eine komplexe pädagogische Aufgabe. Bislang mangelt es jedoch an entsprechenden Angeboten zur didaktischen Weiterqualifizierung. Hochschulen und Politik dürfen hier den zu erwartenden Ressourcenbedarf nicht unterschätzen.

 

Vermittlung von Data Literacy

Mit dem Begriff Data Literacy werden die Fähigkeiten beschrieben, planvoll mit Daten umzugehen und diese im jeweiligen Kontext bewusst einsetzen und hinterfragen zu können. Dazu gehört: Daten zu erfassen, erkunden, managen, kuratieren, analysieren, visualisieren, interpretieren, kontextualisieren, beurteilen und anzuwenden. Alle Studierenden und Promovierenden sollten diese grundlegenden Kompetenzen erlernen, um in der digitalen Welt erfolgreich bestehen und teilhaben zu können. Zahlreiche Hochschulen engagieren sich derzeit intensiv bei der Vermittlung überfachlicher Future Skills und weiten entsprechende Lehr- und Weiterbildungsangebote gezielt aus.

Hochschulen verfolgen dabei unterschiedliche Strategien. Eine Möglichkeit ist es, Data-Literacy-Kompetenzen über disziplinäre Grenzen hinweg zu vermitteln. Die zu diesem Zweck zum Einsatz kommenden Lehr- und Lernformate decken die gesamte zur Verfügung stehende Bandbreite ab – von disziplinenübergreifenden Online- und Projektkursen über herkömmliche Präsenzveranstaltungen im Rahmen von Bachelor- und Masterprogrammen bis hin zu anwendungsorientierten interdisziplinären Data Labs.

Ein Beispiel dafür ist das Konzept DATAx der Leuphana Universität. Im Rahmen eines fachübergreifenden Eingangssemesters können Studierende zunächst im Onlineselbststudium zentrales Grundlagenwissen in den Bereichen Mathematik, Statistik und Programmierung aufbauen. Diese Methodenausbildung integriert gezielt Inhalte der Data Literacy Education und steht sämtlichen Bachelorstudierenden aller Fachrichtungen offen. Um das erlernte Grundlagenwissen auch praktisch anwenden zu können, bekommen die Studierenden anschließend in einem Open Data Hacking Space Echtdaten von Praxis- und Kooperationspartnern bereitgestellt und können auf dieser Grundlage Praxisprojekte im Bereich der Datenanalyse und -visualisierung umsetzen.

Im Ergebnis bauen die Studierenden also nicht nur theoretisches Grundlagenwissen im Bereich der Datenanalyse auf, sondern bringen dieses anschließend in konkreten Praxisprojekten zur Anwendung.

 

Schaffung neuer Lernumgebungen und agiler Innovationsräume

Viele wichtige disziplinenübergreifende Future Skills wie zum Beispiel kollaboratives Arbeiten, unternehmerisches Denken und agile Lern- und Arbeitsmethoden lassen sich überwiegend nicht inhaltlich vermitteln, sondern bedürfen neuer Formen und Räume des (physischen und virtuellen) Lehrens und Lernens.

Dazu passend entstehen an vielen Hochschulen gegenwärtig neue Lernumgebungen, Orte des kollaborativen Arbeitens sowie agile Innovationsräume. Dabei handelt es sich um digitale wie auch analoge Orte, die es Studierenden mit unterschiedlichen Perspektiven und Expertisen ermöglichen, gemeinsam an konkreten Herausforderungen und praktischen Lösungsansätzen zu arbeiten. Die Zusammenarbeit ist durch flexible, experimentelle und kooperative Arbeitsweisen geprägt. Die in der Praxis zu beobachtende Ausgestaltung dieser Innovationsräume erfolgt dabei durchaus unterschiedlich. Als gemeinsames Merkmal kann festgehalten werden, dass Innovationen aus dieser Perspektive zunehmend als Produkt gesellschaftlicher Interaktion verstanden werden und die Bedarfe und Anwendungskontexte der späteren Endnutzer von Beginn an in den Blick genommen werden.

Diese agilen Innovationsräume und neuen Lernumgebungen fördern somit nicht nur die Entstehung von Innovationen und neuem Wissen, sondern sind auch als Orte der aktiven Kompetenzvermittlung im Bereich Future Skills zu verstehen: Veränderte Lernumgebungen fördern und erfordern zugleich neue Formen des Wissensaustausches und die Fähigkeit, agil arbeiten zu können. Projektbasierte Lernmodule ermöglichen den Studierenden, kooperativ über die Grenzen der Hochschule hinaus zu denken und mit Partnern aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten. Damit tragen diese Innovationsräume zur Weiterentwicklung von Lernkonzepten bei und fördern die Entwicklung in Richtung eines forschungs- und innovationsorientierten Lernens.

Ein Beispiel hierfür ist die Lichtwerkstatt Jena, eine offene Werkstatt, bei der jeder mit Interesse an den Themengebieten Licht und Optik teilnehmen kann. Interessierte erhalten neben dem freien Zugang zu moderner technischer Infrastruktur auch das nötige Know-how für die Entwicklung und Realisierung eigener Ideen. Mit der Lichtwerkstatt erhalten Studierende, Doktoranden, aber auch Kreativschaffende, interessierte Bürger bis hin zu Start-ups eine gemeinsame Anlaufstelle, um zusammen zu experimentieren, bisherige Erfahrungen auszutauschen und neue Mitstreiter für gemeinsame Projekte zu finden. Unternehmen nutzen die Lichtwerkstatt Jena gezielt dazu, Innovationsprozesse für unkonventionelle Herangehensweisen zu öffnen und neuartige Lösungsansätze zu erproben.

 

Positionierung von Hochschulen als Weiterbildungsanbieter

In Anbetracht der Größe der Lücke im Bereich der technologischen Future Skills wird die Anzahl an zukünftigen Schulabgängern, die ein Studium in diesem Bereich aufnehmen, den Bedarf bei Weitem nicht decken können. Hochschulen sollten daher auch Personen, die bereits im Berufsleben stehen, unter Voraussetzung benötigter Vorkenntnisse in diesen Bereichen verstärkt weiterbilden. Dies kann durch verschiedenste berufsbezogene Weiterbildungsformate, vom Onlineseminar bis zum berufsbegleitenden Teilzeitstudiengang, erfolgen.

Eine erste Schätzung zeigt, dass staatliche Hochschulen 2017 insgesamt 44 Weiterbildungsstudiengänge für technologische Future Skills angeboten haben – knapp zwei Drittel davon für komplexe Datenanalyse oder nutzerzentriertes Designen. Bei durchschnittlich 50 Teilnehmern bedeutet dies, dass bislang nur etwa 2.000 Menschen jährlich einen weiterbildenden Masterstudiengang für Technological Skills an staatlichen Hochschulen belegt haben – hier liegt ein enormes Potenzial für Hochschulen.

Das Anbieten von Weiterbildung bedeutet für staatliche Hochschulen einen tiefgreifenden Strategiewechsel. Hochschulen haben einen in allen Landesgesetzen verankerten (Weiter-)Bildungsauftrag, der sich über die gesamte Bildungsbiografie im postsekundären Bereich erstreckt. Hochschulen sind deshalb gefordert, ihre Lehrangebote und -formate zu verbreitern, sich verstärkt für die Nachfrage von Unternehmen und anderen Weiterbildungsinteressenten zu öffnen und für Durchlässigkeit und Synergieeffekte zwischen dem eigenen Lehrangebot und anderen zielgruppenspezifischen Weiterbildungsmöglichkeiten zu sorgen.

Im Bereich der Weiterbildung und des lebenslangen Lernens lassen sich vier Grundtendenzen inhaltlicher und formaler Verschmelzungsprozesse identifizieren: die Verschmelzung von akademischen und beruflichen Inhalten und Zielgruppen, eine Zusammenführung der Inhaltsproduktion von Unternehmen und Bildungsinstitutionen, eine Koppelung digitaler und physischer Weiterbildungsumgebungen und eine Verschränkung von informellem und formalem Lernen.

Ein großes Skalierungspotenzial für akademische Weiterbildungsangebote liegt dabei in der Verschränkung von physischen und virtuellen Weiterbildungsmodulen. Hierfür sind neue Allianzen für Inhaltsproduktion und Operationalisierung nötig: Allianzen von Hochschulen, zwischen Bildungsinstitutionen und Unternehmen sowie zwischen öffentlichen und privaten Plattformanbietern. Dabei muss es sich längst nicht immer um Studiengänge handeln: So sind Unternehmen oftmals eher an kürzeren und thematisch fokussierten (Zertifikats-)Angeboten interessiert, in deren Rahmen ihre Mitarbeiter neue Kompetenzen erlangen.

Der Schlüssel zur effizienten Verbindung solcher maßgeschneiderten Programme mit offenen Angeboten für alle Studieninteressierten ist die Modularisierung, im internationalen Kontext auch diskutiert als "Unbundling of Education". Im Optimalfall ließen sich aus einzelnen, unternehmensspezifischen oder offenen Modulen – als Produkteinheit betrachtet – flexibel inhaltliche Pakete schnüren, die sich gegebenenfalls zu einem kompletten Abschluss ergänzen.

 

Nutzung von Plattformen für lebenslanges Lernen

Hochschulen müssen mit ihren Studien- und Bildungsangeboten sehr unterschiedliche Zielgruppen erreichen und verstärkt auch flexible Angebote entwickeln. Dies geht einher mit der Notwendigkeit einer (onlinebasierten) Skalierung ihrer Angebote, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Gerade im Bereich Future Skills haben sich in den vergangenen Jahren im globalen Kontext bereits große Onlineplattformen etabliert.

Entscheidend für eine Plattform, die auch Hochschulen als Anbieter lebenslangen Lernens stärken soll, ist vor allem eine Einbettung in ein übergreifendes Ökosystem an Online- und Offlineangeboten, das den Bedarfen aller Zielgruppen gerecht wird (Lernende, Hochschulen, Unternehmen etc.).

 

Neue Formen der Zertifizierung und Kompetenznachweise entwickeln

Während in Deutschland formale Bildungsabschlüsse noch immer weitreichende und karriereprägende Kraft haben – insbesondere im öffentlichen Dienst – steht vor allem in der internationalen Unternehmenswelt und in der Start-up-Szene bei der Rekrutierung und der Ausgestaltung von Karrierewegen prioritär der Nachweis spezifischer Kompetenzen im Vordergrund. Kommerzielle Anbieter bedienen mit modularen Weiterbildungsangeboten diese Tendenz und bewerben die zeitliche und inhaltliche Fokussierung ihrer Angebote mit der Vergabe von Nanodegrees oder Microdegrees.

Veränderte Anforderungen an Kompetenzprofile im digitalen Zeitalter führen zu veränderten Anforderungen an Zertifizierungsprozesse und Zertifikatstypen. Da Weiterbildung – vor allem im Bereich technologischer Future Skills – zunehmend informell stattfindet, entsteht ein Bedarf an neuen Zertifizierungsmodi. In Deutschland finden in diesem Zusammenhang bereits Experimente mit Peer-to-Peer-Zertifizierungen statt, deren Mehrwert in der Flexibilität des Prozesses und den qualitätsgesicherten Ergebnissen gesehen wird. Das vom Hochschulforum Digitalisierung entwickelte Instrument HFDcert zum Beispiel ermöglicht Nutzern, ihr Engagement für innovative und digitale Lehre in einem Onlineportfolio sichtbar zu machen, sobald ihre auf der Onlineplattform eingereichten Aktivitäten und Nachweise im Peer-Review-Verfahren von entsprechenden Themenexperten positiv bewertet wurden. Die erreichten Progressionsstufen werden über Badges und ein individuelles Zertifikat abgebildet.

Zugunsten der individuellen Profilschärfung und dargestellten Employability muss die Frage nach dem Zertifizierungsmodus notwendigerweise an die Frage nach der Sichtbarmachung der ausgebauten Kompetenzen gekoppelt sein. Große Recruiting-Portale wie LinkedIn haben sich darauf eingestellt und neue Darstellungsformen spezifischer Kompetenznachweise entwickelt. Im angelsächsischen Raum spielt die Vergabe von Open Badges bereits zunehmend eine Rolle.

in der Darstellung von Qualifikationen und Kompetenzen. Durch ihre standardisierten Raster zur Bereitstellung von Metadaten weisen Open Badges zwar ein hohes Potenzial bezüglich der Transparenz der bescheinigten Kompetenzen auf, werden bislang in Deutschland allerdings nur vereinzelt eingesetzt. Die Beuth Hochschule für Technik Berlin vergibt bereits digitale Kompetenzabzeichen basierend auf Mozilla Open Badges, unter anderem in den Bereichen Leadership und interkulturelle Kompetenzen.

 

Zwischenfazit und Empfehlungen

Die Integration der Future-Skills-Vermittlung in die Curricula sowie das Schaffen eines umfassenden Weiterbildungsangebots im Bereich der transformativen Technologien ist für Hochschulen Aufgabe und Chance zugleich: Sie können in Forschung und Lehre neue Felder besetzen, Lehrinnovationen umsetzen, sich in einem wachsenden Markt positionieren und neue Gruppen von Lernenden für sich begeistern. Hochschulen stehen vor der Herausforderung, ihre Bildungsstrategien grundlegend zu verändern und den Anforderungen des zukünftigen Arbeitsmarktes und der Gesellschaft mit einem angepassten Angebot für technologische und überfachliche Future Skills zu begegnen.

Auf die digitale Transformation der Gesellschaft und der Arbeitswelt ausgerichtete Future Skills sollten an Hochschulen fächerübergreifend in zunehmend individualisierten Studienkonzepten und in der Weiterentwicklung disziplinärer sowie neuer transdisziplinärer Studiengänge deutlich mehr adressiert werden. Dazu bedarf es auch der nachhaltigen Erneuerung von Lehr- und Lernformaten, die mit deutlich mehr Ressourcen als bislang von der Politik unterstützt werden muss.Hochschulen stehen dabei vor einer doppelten – fast paradoxen – Herausforderung: Einerseits müssen neue Kompetenzen in Inhalten, Lernsettings und Forschungsumgebungen vermittelt werden. Als Orte der Wissenschaft sollten und müssen die Hochschulen bei technologischen Future Skills die Vorreiter bei der Generierung neuen Wissens und der Vermittlung der nötigen fachlichen Fähigkeiten für die Arbeitswelt der Zukunft sein. Andererseits konkurrieren Hochschulen bei ihrer eigenen Personalrekrutierung und Nachwuchsentwicklung auf einem Arbeitsmarkt, der digitale Kompetenzen händeringend sucht und diese mit attraktiven Gehältern belohnt. Die Folge: Digital- und Big-Data-Spezialisten sind für diejenigen Institutionen, die diese Spezialisten ausbilden sollen, zunehmend schwieriger zu finden und zu halten. So ergeben sich übergreifende strategische Herausforderungen und Potenziale für die Hochschulen: die Weiterqualifizierung des eigenen Personals und die verstärkte Kooperation mit Hightech- und datengetriebenen Unternehmen beim Thema Curriculumsentwicklung, Rekrutierung und Weiterbildung.

 

Der Weiterbildungsmarkt in Deutschland und die Rolle der Hochschulen

Ständige Weiterbildung wird zu einem unverzichtbaren Erfolgsfaktor – für Wirtschaft und Gesellschaft, aber auch für jeden Einzelnen. Weiterbildung ist hier definiert als kontinuierliches, lebenslanges Lernen von Erwerbstätigen. Man unterscheidet zumeist zwischen beruflicher, wissenschaftlicher und allgemeiner Weiterbildung: Im Rahmen von beruflichen Weiterbildungen entwickeln Mitarbeiter bestehende Fähigkeiten weiter (beispielsweise hinsichtlich neuer technologischer Entwicklungen) oder erlangen neue Fähigkeiten (unter anderem Führungsqualifikationen). Im Kontext von Future Skills gehört dazu die Vermittlung von überfachlichen Fähigkeiten wie Digital Literacy oder agiles Arbeiten. Wissenschaftliche Weiterbildung besteht aus der inhaltlichen und methodischen Vermittlung von Fachwissen, beispielsweise technologischen Fähigkeiten (Technological Skills) wie komplexer Datenanalyse. Allgemeine Weiterbildung bezieht sich auf die Vermittlung von Allgemeinwissen, Fähigkeiten oder Hobbys, die dem Privatinteresse der Lernenden dienen. Einige Future Skills wie Digital Literacy oder Digital Learning können auch aus Privatinteresse erworben werden.

Weiterbildung ist bislang in Deutschland vor allem privatwirtschaftlich organisiert. Es handelt sich um einen sehr fragmentierten Markt mit derzeit geschätzt 22.000 aktiven Anbietern Auf die Volkshochschulen entfallen 46 Prozent der durchschnittlichen jährlichen Dozentenstunden, was sie zum größten Anbieter macht. Das VHS-Programm deckt typischerweise vor allem Themenbereiche wie Sprachen, Gesellschaft oder Hobbys ab. Auf private Weiterbildungseinrichtungen entfallen weitere 23 Prozent der Dozentenstunden, auf wirtschaftsnahe Institutionen 13 Prozent und auf Einrichtungen von Kirchen, Parteien, Stiftungen und Ähnlichem 9 Prozent. Universitäten kommen zusammen mit Fachhochschulen lediglich auf einen Anteil von drei Prozent aller Dozentenstunden – obwohl 48 Prozent aller Hochschulen laut einer Stifterverbandsumfrage angeben, Weiterbildung anzubieten. Das Weiterbildungsangebot der Hochschulen dürfte damit in den meisten Fällen nur eine geringe Stundenanzahl umfassen. Die Mehrheit der Hochschulen arbeitet mit weniger als zehn Unternehmen bei der Weiterbildung zusammen, nur ein Viertel erlöst mit Weiterbildung mehr als 250.000 Euro pro Jahr.

Ein Hauptgrund hierfür ist laut Einschätzung von Experten die fehlende Inzentivierung – Reputation wird maßgeblich über Forschungsleistungen bestimmt, sodass lehrbezogene Aufwände, inklusive Lehre zur Weiterbildung, für Hochschullehrende mit geringeren Anreizen verbunden sind. Wissenschaftler, die in der Weiterbildung aktiv sind, machen dies zumeist als Nebentätigkeit. Mit Blick auf den prognostizierten Weiterbildungsbedarf in Deutschland ist dies problematisch: Besonders die Vermittlung von technologischen und fachspezifischen Future Skills erfordert tiefgehende Fachexpertise, für deren Vermittlung Hochschulen besonders geeignet erscheinen.

Die Bundesregierung unterstützt lebenslanges Lernen mit neuen Initiativen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat im November 2018 gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung eine nationale Weiterbildungsstrategie für die kommenden Jahre vorgestellt. Sie sieht unter anderem vor, die Mittel für die Kostenbeteiligung des Staates an betrieblicher Weiterbildung massiv aufzustocken und die Inanspruchnahme durch ein Recht auf Weiterbildungsberatung zu erleichtern. Ob diese Initiativen jedoch genügen, um dem rasant wachsenden Weiterbildungsbedarf gerecht zu werden, bleibt abzuwarten.

In jedem Fall scheint eine grundlegende Modernisierung des Weiterbildungsangebots dringend erforderlich. Tatsächlich ist der Weiterbildungsmarkt in jüngster Zeit bereits in Bewegung gekommen. So haben einige etablierte Institutionen neue Angebote entwickelt, wie zum Beispiel die Plattform vhs.cloud der Volkshochschulen. Vor allem aber drängen verstärkt sogenannte Education-Start-ups in den Markt, die ein spezifisches Angebot zu Future Skills zur Verfügung stellen.

Der Hochschul-Bildungs-Report 2020 ist eine Initiative von