Trend zur digitalen Bildung

Die Akademische Weiterbildung hat im Jahr 2012 den größten Sprung nach vorn gemacht. Der Teilindex Quartäre Bildung stieg um 8 auf 12 Punkte. Insbesondere die Flexibilisierung der Hochschulbildung hat sich Deutschland positiv weiterentwickelt, Fern-, Teilzeit- und Weiterbildungsstudiengänge wurden 2012 kräftig ausgebaut.

Die digitale Bildung hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten rasant entwickelt. Mit der zunehmenden Verbreitung des Internets nutzten in den 90er-Jahren zunächst führende angelsächsische Universitäten die Möglichkeiten des E-Learnings. Mit der Jahrtausendwende wurden zunehmend komplexere virtuelle Lernumgebungen als Ergänzung der Präsenzlehre eingesetzt. Sie dienten meist als proprietäre und geschlossene Systeme zur Bereitstellung von Lerninhalten, zur Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden sowie zur Organisation von Lernprozessen.

Diese „Insellösungen“ waren häufig aber schon nach wenigen Jahren veraltet oder wurden nicht weiterentwickelt. Parallel dazu entstand weltweit die von zahlreichen Hochschulen getragene Entwicklung und Bewegung der open educational resources, die Lernenden mithilfe von Onlineplattformen Lern- und Lehrmaterialien kostenlos zugänglich macht.

Phänomen MOOCs

Das Phänomen der massive open online courses (MOOCs) setzt seit 2011 weltweit neue Maßstäbe für digitales Lernen in der akademischen Aus- und Weiterbildung. MOOCs sind kostenlose, frei zugängliche, aber professionell produzierte Bildungsangebote, die von einzelnen Professoren beziehungsweise Universitäten entwickelt und in Kooperation mit Drittanbietern über MOOC-Plattformen zur Verfügung gestellt werden.

Inzwischen haben sich zahlreiche Plattformen für MOOC-Angebote etabliert. Allein die drei größten amerikanischen Anbieter – Udacity, Coursera und edX – haben in den vergangenen zwei Jahren Hunderte Kurse erarbeitet. Diese erstrecken sich über alle Fachrichtungen, erreichen häufig mehrere Zehntausend Teilnehmer in einem einzelnen Kurs und verzeichnen mittlerweile über sieben Millionen angemeldete User weltweit. Zwischen 2012 und 2013 konnten die Plattformen weit mehr als 100 Millionen Euro Investitionskapital einsammeln.

Udacity – Konkurrenz für Hochschulen?

„Online-Education wird den Hörsaal nicht abschaffen. Im Gegenteil: Beides wird sich weiterentwickeln.“

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Sebastian Thrun (Foto: David Ausserhofer)
Interview mit Sebastian Thrun, Gründer der Online-Akademie Udacity und Google-Vizepräsident.

Auch in Deutschland ist die Nachfrage groß: Deutschland zählt zu den Top 10 der Nutzerländer von Udacity (mit zwei Prozent von rund 556.000 Studierenden), FutureLearn (mit 4,7 Prozent von rund 20.000 Studierenden in den ersten 24 Stunden) und iversity (mit 11,1 Prozent von rund 220.000 Studierenden). Auf der Seite der Anbieter gibt es mit dem openHPI, der IMC AG sowie mit iversity erste MOOC-Plattformen, die von Deutschland aus operieren und sich am Markt positionieren – teils mit einem Informatikschwerpunkt (openHPI), teilweise mit einem breiten Fächerspektrum (iversity).

Chancen der digitalen Angebote

Nicht alle Erwartungen, die in die neuen Angebote gesetzt wurden, konnten bislang erfüllt werden. Dazu zählen beispielsweise Vorstellungen von der Demokratisierung des Lehrens und Lernens oder von einem für alle möglichen Studium an Spitzenuniversitäten. Hohe Abbrecherquoten (teilweise im Durchschnitt mehr als 90 Prozent) sind bislang kennzeichnend für die neuen Onlineangebote. Auch haben sich noch keine tragfähigen Geschäfts- und Finanzierungsmodelle etabliert.

Trotzdem spricht vieles dafür, dass sich digitale Bildung zu einem attraktiven Wachstumsmarkt wandelt. Nach Prognosen auf Basis von Daten der Vereinten Nationen und der IT-Beratung Pyramid Research könnte der Anteil der Onlinekurse an allen Studienangeboten von drei Prozent im Jahr 2015 auf 30 Prozent im Jahr 2020 steigen. Die Anzahl der Onlinestudierenden soll sich im gleichen Zeitraum von acht Millionen auf 55 Millionen Studierende erhöhen, ein jährlicher Zuwachs von 47 Prozent. Vor allem die Vorteile digitaler Bildungsangebote für die Lernenden könnten ihre Verbreitung vorantreiben, dazu zählen unter anderem niedrige Zugangshürden, vergleichsweise geringere Studienkosten und ein von Ort und Zeit unabhängiges Lernen.

Anerkennung der Studienleistungen

Voraussetzung für eine weitere Verbreitung digitaler Angebote ist die Anerkennung digitaler Studienleistungen: erstens zwischen den Hochschulen auf internationaler Ebene und zweitens bei Unternehmen und anderen Arbeitgebern. Die Anerkennung von digital erbrachten Studienleistungen zwischen den Bildungssystemen der verschiedenen Länder ist eine politische Gestaltungsaufgabe, die nicht zuletzt auch in europäischer Perspektive die Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit digitaler Angebote im europäischen Hochschulraum sichern muss. Dabei sollen weniger die Institution und der Ort, an dem das Wissen erworben wurde, ausschlaggebend für eine Anerkennung von Leistungen sein, als vielmehr die Validierung von (wo auch immer) erworbenen Kompetenzen.

Neue Kooperationsmodelle für quartäre Bildung

Um maßgeschneiderte Angebote erstellen zu können, arbeiten Hochschulen, Bildungsplattformen und Unternehmen an neuen Kooperationsmodellen für Onlineweiterbildungsangebote. Hochschulen sind dabei für die Erstellung der Lehrinhalte, die Zertifizierung der Studienleistungen und -abschlüsse, die Erhebung von Gebühren und die Nutzerakquise über etablierte Kanäle des Hochschulmarketings verantwortlich.

Unternehmen beteiligen sich mit eigenem Know-how an der Erstellung der Lehrinhalte, übernehmen teilweise die Finanzierung und garantieren die Anerkennung der Abschlüsse und Zertifikate. Sie entsenden Mitarbeiter als Nutzer der Weiterbildungsangebote und stellen Onlineabsolventen der Programme zum Teil sogar eine Anstellung in Aussicht. Als dritter Partner fungieren Onlinebildungsplattformen, die Lehrinhalte digital aufbereiten, Gebühren für Onlinelehrinhalte erheben und Nutzer akquirieren. Ein Beispiel für eine solche innovative Kooperation ist der Academy Cube von SAP, der gezielt über internationale Partner geeignete Nachwuchstalente anspricht, sie bei ihrer akademischen Weiterbildung unterstützt und damit gleichzeitig ein attraktives Recruitingnetzwerk aufbaut.

Empfehlung

Hochschulen bietet sich durch digitale Angebote die Chance, sich in dem rasant wandelnden Weiterbildungsmarkt als Innovator und Marktführer zu etablieren. Dafür müssen sie allerdings zunächst die notwendigen Voraussetzungen schaffen: Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen müssen Weiterbildungskurse zu Vollkosten angeboten werden; viele Hochschulen müssen eine entsprechende Trennungsrechnung erst einführen. Sie müssen stärker als bisher mit externen Partnern, vor allem Unternehmen, zusammenarbeiten und ihr Personal für die digitale Bildung fit machen.

Unternehmen sollten stärker als bisher zusammen mit Hochschulen unternehmensbezogene Onlinekurse wie corporate MOOCs (massive open online courses) oder stark limitierte Angebote wie SPOCs (small private online courses) entwickeln und einsetzen. Die Politik steht jetzt vor der Aufgabe, durch die Gestaltung von gesetzlichen und strukturellen Rahmenbedingungen sowie intelligenten Anreizsystemen die strategische Profilierung der Hochschulen im Bereich der quartären Bildung und ihre Kooperationsbeziehungen in diesem Feld insgesamt weiter voranzutreiben.

Der Hochschul-Bildungs-Report 2020 ist eine Initiative von